Unsere Befürchtung wurde in den letzten Tagen zur Gewissheit. Das geplante US-Fiskalpaket ist endgültig zum Vehikel im Wahlkampf mutiert.
Die Entscheidung wurde am Dienstag getroffen, als Präsident Trump ankündigte, dass er die Gespräche absagen werde. So will er vermeiden, dass die Demokraten möglicherweise einen Achtungserfolg verbuchen könnten. Andererseits wird es aber mit der demokratischen Nancy Pelosi keine im Umfang kleinen stückweisen Abkommen geben. Man wird das an der Verabschiedung des 25 Mrd. USD großen Hilfspakets für Fluggesellschaften sehen, das Trump auf den Weg bringen will.
Die Reibereien dürften nicht ohne Konsequenzen auf die US-Konjunktur bleiben. Denn langsam steht die bislang „V“-förmige Erholung vor ihrem vorzeitigen Ende. Letztlich wollen die Demokraten den großen Vorsprung von Präsidentschaftskandidat Biden gegenüber seinem Gegner sowohl auf nationaler Ebene als auch in den umkämpften Staaten schützen und werden nicht nachgeben.
Diese Unnachgiebigkeit wurde von den Investoren nicht als Verschärfung der Lage wahrgenommen. Offensichtlich beginnt man sich einen demokratischen Sieg mit seinen Konsequenzen vorzustellen. Dazu kam unterstützend, dass das Rededuell zwischen dem republikanischen Vize Mike Pence und der designierten demokratischen Vizepräsidentin Kamala Harris zugunsten der letztgenannten ausgegangen war. Steuererhöhungen hat die demokratische Seite zwar auf dem Plan – aber erst bei Jahreseinkommen von über 400.000 USD wären sie spürbar. Wäre also „taxes“ (Demokraten) nicht doch besser als „tariffs“(Republikaner)?
Auf jeden Fall wäre die Trump´sche Zollspirale erst einmal zu Ende und China könnte seinen Platz als USHandelspartner der ersten Wahl womöglich wieder zurückerobern. Gleiches gilt für Japan und die Europäer. Unter diesem Gesichtspunkt hätten wir unsere Positionen in chinesischen Aktien zuletzt nicht reduzieren sollen (allerdings fußte unsere Begründung auf einer anderen Ausgangsbasis). So fragen sich in dieser Woche einige Anleger, ob der gegenwärtige Kursanstieg bereits die vorweggenommene Wahlrallye sein könnte.
Ebenso erstaunlich ist die Ignoranz der Aktienmärkte gegenüber den speziell in Europa wieder steigenden Neuinfektionszahlen. Auch hier fehlt die Angst vor durchaus wahrscheinlichen Lockdowns und das, obwohl täglich neue Risikogebiete die Bewegungsfreiheit weiter einschränken. So hätte die heutige Zahl der Neuinfektionen in Deutschland mit über 4.000 vor noch nicht allzu langer Zeit eher zu einem Sellout an den Börsen geführt. Einzig die Zahl der Todesfälle ist relativ zur Zahl der Neuerkrankungen nur unterproportional gestiegen. Mit Impfungen wird nun mehrheitlich erst ab Q2 2021 gerechnet.
Bleibt die Frage, ob sich Aktien in ihrer Bewertung aktuell völlig von der Realität entfernt haben? Bei den Staatsanleihen wissen wir das bereits. Betrachtet man Multiplikatoren wie das Kurs-Buchwert- oder Kurs-Gewinn-Verhältnis, ist es nicht nur leicht, den S&P 500 im Vergleich zu anderen großen Aktienmärkten als außergewöhnlich teuer darzustellen.
Das Bild wird noch trüber, wenn wir die Wachstumserwartungen berücksichtigen. Das KursGewinn-Verhältnis im Verhältnis zum Gewinnwachstum (PEG-Verhältnis) liefert eine Idee, wie schnell ein Unternehmen höhere Gewinne erwirtschaften kann und damit eine höhere Bewertung im KGV rechtfertigt. Relativ gesehen kann man das KGV durch die Wachstumsrate (als Faktor, z.B. 1,5) dividieren und erhält damit eine gewisse Normierung. Je niedriger der Wert, umso günstiger die Aktie.
Für den S&P 500, der nahe seines Allzeithochs vom Mai 2020 steht, liegt das PEG-Verhältnis um die 2. Für Aktien des Euroraums liegt das PEG-Verhältnis sogar noch höher, weil die in Europa erwarteten langfristigen Gewinnwachstumsraten niedriger sind. Obendrein sind die japanischen PEG-Quoten sind nach wie vor niedriger aus als die der USA oder der Eurozone.
Gegenwärtig stehen die Anleger dem langfristigen Gewinnwachstum im Technologie- und Gesundheitssektor immer noch wesentlich positiver gegenüber als anderen zyklischen Werten, so dass die PEG-Quoten die US-Aktienmärkte mit ihrem hohen Anteil an Wachstumstiteln erst einmal begünstigen. Aber lassen Sie sich hier kurzfristig nicht an der Nase herumführen.
Denn die erwartete Verstärkung der globalen Konjunkturerholung im nächsten Jahr dürfte die Gewinnaussichten gerade für traditionelle zyklische Werte viel stärker verbessern als für den Technologie- und Gesundheitssektor. Industrie- und Rohstoffaktien sind ein direktes Spiel mit dem nachlassenden Deflationsdruck, einem niedrigeren Dollar und einer steigenden globalen Industrieproduktion. Die völlig vernachlässigten Finanzwerte werden von einer gewissen Versteilerung der Renditekurve profitieren.
Unterdessen bleibt das Gesundheitswesen ein defensiver Sektor. Technologietitel erfreuten sich während der Pandemie einer außerordentlichen Nachfrage. Beide Sektoren werden wahrscheinlich von künftigen Ausgaben im Nachgang nicht mehr im selben Ausmaß profitieren. Infolgedessen dürfte sich der erwartete Unterschied im PEG-Verhältnis zwischen den USA und dem Rest der Welt verringern.
Eine Kombination von Maschinenbau und Technologie erlebt man aktuell nicht nur bei den klassischen Autowerten, sondern gerade auch bei den Produzenten von Geräten für die Landwirtschaft. Für Traktorenhersteller wird es eine zyklische Erholung geben, die den Trend hin zu Präzisionspflanztechnik durch die Landwirte weiter vorantreibt. Unter Präzisionspflanzung versteht man den Einsatz von Software und Hardware zur Ausbringung des richtigen Saatguts und Düngers, um die Produktion einer landwirtschaftlichen Parzelle zu maximieren.