Das COVID-19-Desaster vom Frühjahr ist zurück. Und nicht nur das: Das im Vergleich zu den USA relativ vernünftig agierende Europa hat trotz aller Bemühungen in Sachen täglicher Neuinfektionen seinen Vorteil verspielt. Spätestens jetzt begreifen die letzten in Algebra weniger begabten unter den „Maskenfeinden“, was eine Exponentialfunktion ist. Auf den ersten Blick greifen heute wieder die Gesetzmäßigkeiten des Frühjahr an den Börsen: Es geht massiv rückwärts. Bislang halten die mittelfristigen Unterstützungsmarken, die Kursverluste
fallen je nach Land auch unterschiedlich hoch aus. Sicher kann man einen Teil des Abverkaufs auch auf den morgigen Optionsauslauf schieben. Eines bleibt: Sollten die täglichen Neuinfektionen weiter ansteigen, könnten sich die Verhaltensmuster vom März wiederholen.
Doch das ist bekanntlich nicht die einzige Baustelle, auf der es derzeit nicht wirklich rund läuft. Hatte man noch vor Tagen die Hoffnung auf einen Brexit-Handelspakt zwischen der Europäischen Union und Großbritannien binnen der vom letztgenannten gesetzten Frist, so sind wir heute schon schlauer. Man will diesen Termin ignorieren und laut dem Entwurf des Abschlussdokuments zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel einfach weiterverhandeln. Es wäre allerdings nicht der britische Premierminister Boris Johnson, wenn dieser sich hingegen nicht weiter offenhalten würde, die Gespräche abzubrechen.
Überm großen Teich stocken die Verhandlungen zu einem Fiskalpaket weiterhin. Der Mehrheitsführer der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell, kündigte eine Abstimmung in der Kammer über ein abgespecktes 500-Mrd.-USD-Paket in der kommenden Woche an. Ein derartiges Paket hatten die Demokraten zuletzt zurückgewiesen und umfassendere Hilfen gefordert. Viele Marktteilnehmer gehen davon aus, dass erst nach der Präsidentenwahl Anfang
November weitere Corona-Hilfen auf den Weg gebracht werden.
Zuletzt hatte der Vorsprung des Demokraten Joe Biden in Wahlumfragen vor Amtsinhaber Donald Trump die Kurse an den Börsen gestützt, weil viele Marktbeobachter davon ausgehen, dass Biden mehr Mittel für die Infrastruktur bereitstellt und zudem der Handelsstreit mit China gebremst wird. Indes: Die neueste Schikane der republikanischen Regierung kam gestern Abend ans Tageslicht. Die FinTech-Tochter Ant Group des chinesischen Online-Händlers
Alibaba soll nach dem Willen des US-Außenministeriums mit Sanktionen belegt werden. Zwei mit dem Vorgang vertraute Personen sagten Reuters am Mittwoch, einen entsprechenden Vorschlag habe das Ministerium der gesamten US-Regierung vorgeschlagen. Ob und wann der Vollzug kommt und Ant Group auf die Schwarze Liste gesetzt wird, ist allerdings offen.
Wie wichtig ein weiteres Hilfspaket ist, zeigen die Auswirkungen des letzten Paketes auf die Einzelhandelsumsätze und auf das verfügbare Einkommen der US-Bürger (vorherige Grafik). Vom Konsum der Amerikaner konnte natürlich auch der globale Handel profitieren. Das sieht man an der Entwicklung des USHandelsdefizits im betreffenden Zeitraum.
Nun kamen zuletzt auch noch schlechte Nachrichten von einigen Pharmaunternehmen in Sachen Corona-Impfstoff hinzu: Eine ungeklärte Erkrankung eines Probanden zwang Johnson & Johnson, die Tests eines Corona-Wirkstoffs aktuell auszusetzen. Auch Konkurrent Eli Lilly hat wegen Sicherheitsbedenken die Erprobung seines Corona-Impfstoffs erst einmal gestoppt.
Nebenbei startete diese Woche die Quartalsberichterstattung der US-Banken. Diejenigen, deren
Schwerpunkte im Wertpapierhandel und im Investment Banking liegen, konnten positiv überraschen (JP Morgan, Goldman Sachs), während die anderen stark im Kreditgeschäft engagierten (Wells Fargo, Bank of America), ihr Ergebnis mit Wertberichtigungen auf ausgefallene Kredite belastet sahen. Die Aktien konnten aber von den tendenziell über den Schätzungen liegenden Ergebnissen nicht profitieren